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Es waren Stunden vergangen, seit dem Vorfall mit dem Bus. Ich lag halb angezogen auf dem Bett in meiner Wohnung, auf dem Boden schliefen Bogdan und zwei seiner Freunde, zum Glück hatten wir die beiden 'Stimmungs- aka Krachmacher' unterwegs losgeworden. Obwohl wir sicherlich jeder etwa 2 Liter Alkohol intus hatten und man uns anhang unserer Fahne wohl bis zum Stadion riechen würde, hoffte ich insgeheim, dass das ganze nicht ans Tageslicht kommen würde, oder zumindest, dass man Bogdan und mich nicht gesehen hatte. Ich hatte extra mein Handy abgedreht, um nicht geweckt zu werden, an Schlafen war aber ohnehin nicht zu denken. Ein Mix aus Wut, dass Ioana nicht gekommen war, nicht einmal Bescheid gesagt hatte und Angst, dass dieser Vorfall wohl endgültig dass Fass zum Überlaufen bringen würde, kreiste in meinen Gedanken umher. Zudem suchte ich immer wieder in meiner Hosentasche nach Kleingeld, um das imaginäre Karusell, in dem ich mich gefangen fühlte, bezahlen zu wollen.
Mit einem satten Hustenanfall und dem Gefühl, dass es mir gleich hochkommen würde, wachte ich gegen 14:30 Uhr auf und es gab nur ein Ziel: Bad! Doch vor der versperrten Türe blieb ich stehen, vernahm von drinnen nur ein leises Stöhnen, dass sich sehr nach Bogdan anhörte, gefolgt von einem Lauten Würgen, das zum Glück nicht von mir kam. Ich blickte mich panisch um, wankte zum Fenster, riss es auf und übergab mich herzhaft aus dem dritten Stock. Dass ich in der Fußgängerzone darunter keinen getroffen hatte, ließ meine Hoffnungen schrumpfen, dass ich doch unbeschadet und unbemerkt den Vorfall überstehen würde, zwei Wunder an einem Tag waren doch äußerst selten. Gespenstig ruhig war es draußen, das beunruhigte mich noch mehr. Mit Schlafen war es ohnehin vorbei, hektisch kramte ich mein Handy hervor, schaltete es ein und warf Aspirin ein, ich hatte das Gefühl, als würden zwanzig Elefanten auf meinem Kopf herumtrampeln, dass Bogdan auf dem Bad torkelte und laut 'SOOOTAAAAA!' schrie, machte es keinen Deut besser. Mein Handy hörte gar nicht mehr auf zu vibrieren, 13 Anrufe in Abwesenheit, 15 SMS und 8 Nachrichten auf Whatsapp. Keiner davon war von Ioana, nur Glückwünsche zum Geburtstag und Gratulationen an eine überragende Partie, die löschte ich lieber schnell einmal, je weniger Beweise, desto besser. Und dann waren da auch noch Anrufe von George Becali und Nachrichten von meinem Coach, Dumitriu, ich solle umgehend in die Geschäftsstelle von Steaua kommen.
-gesendet um 10:16-, ich fragte mich, ob das noch aktuell war, oder sich vielleicht schon erledigt hatte, als prompt ein erneutes Vibrieren meine Frage beantwortete. Treffpunkt in der Geschäftsstelle um 17 Uhr, der Coach und Becali erwarten mich, um 16:30 würde ich abgeholt werden!
Ich geriet in Panik, es schien fast so, als ob sie es wüssten, oder doch nicht? Ich bat Bogdan, erstmals zu verschwinden und sich unsichtbar zu machen, besser, wenn man uns nicht direkt zusammen erwischte. Meine zweite Sorge war mein Zustand und mein Aussehen. Zweiteres konnte ich mit ein paar Handgriffen in Ordnung, aber die Fahne und das üble Gefühl war auch nach rund einem Liter Wasser und zwei Red Bull nicht verschwunden. Unmöglich, dass ich nicht komplett durchschaut werden würde, ich roch nahezu nach Ärger! Meine Gedanken brachten mich förmlich um, ich versuchte abzuschalten und rief noch einmal Ioana an, doch wieder kam nur die Mobilbox. Ihr da draufzulallen empfand ich als nicht sehr hilfreich, also erkundete ich als erstes das Internet. Ich wollte schauen, ob es womöglich Zeugen, Bilder, irgendwas im Internet gab, das mich belasten würde und prompt klappte mir die Kinnlade runter. Gleich auf Seite eins der Online-Zeitung von Steaua Bukarest prangte ein großes Foto, dass leicht verschwommen 7 Männer zeigte, die von dem an der Wand des Stadions geschrotteten Mannschaftsbusses wegrannten. Ich zoomte heran und konnte ohne großen Zweifel mein und Bogdan's Gesicht auf den Foto's erkennen, noch dazu stand mein Name in der Überschrift!
Ich schloss die Seite und schaltete den PC ab, das wars! DAS WAR ES, schoss es mir durch den Kopf, egal, was ich machen würde, selbst wenn ich das Stadion bis zum Gespräch reparieren würde, den Bus ersetzen würde, das war es! Nicht nur, dass ich keinen ordentlich Abschluss hatte, weil ich mich schon sehr früh voll und ganz auf den Fußball konzentriert habe, wie würde es weitergehen, müsste ich in der Fußgängerzone, auf der ich vorhin die Überreste der Erinnerungen des Vorabends gelassen hatte, um Geld betteln, mich nachts in schmutzige Decken in U-Bahn-Stationen verkriechen und mein Gesicht hinter einer Maske verbergen, um dem Hass der Tausenden Steaua-Fans zu entgehen? Nun wusste ich, was es heißt, erwachsen zu sein, doch ich wollte es nie auf die harte Tour lernen!
Einsicht? Zu spät?
Das Klingeln der Wohnungstüre riss mich aus meinen Gedanken, es war der selbe Fahrer, der mich nach dem Krankenhausaufenthalt zu Herrn Becali gebracht hatte. Könnte ich ihm vertrauen, ihn fragen, ob die etwas wüssten und worauf ich mich einstellen soll? Derweil vibrierte mein Handy erneut, der Blick und meine Finger fielen sofort über die Nachricht her, sie kam von Ioana.
'Sorin, hör zu, ich weiß nicht, was ihr gestern angestellt habt, aber die Zeitungen und Medien sind voll mit deinem und Bogdan's Gesicht und es hat keinen Sinn zu leugnen! Ich erkläre dir alles später, aber womöglich hast du noch eine winzige Chance, wenn du ehrlich bist, reumütig und zugibst, dass es dir von Herzen leid tut. Ich drück dir dir die Daumen, ♥♡♥ Ioana. PS: lösche bitte diese Nachricht sofort!'
Ich war erstaunt, das war also das erste, was sie mir zu sagen hatte und überhaupt, woher wusste sie das? Ich beschloss ihr dennoch zu glauben und mich an ihren Rat zu halten, lügen schien mir quasi aussichtslos. Der Chaffeur hielt vor der Geschäftsstelle und ich konnte schon von weitem den finsteren Blick von Dumitriu. Es gab doch nicht darüber, sich so bei einem neuen Coach vorzustellen! Ohne zu versuchen, ein Lächeln aufzusetzen, mit dem es mir meist mühelos gelang, die Probleme aus der Welt zu schaffen, stapfte ich in Richtung Büro, die Mundwinkel nach unten gebogen.
Ich nahm an einem großen Tisch Platz, was mir recht war, denn ich saß so außer Reichweite der beiden Bosse. Dumitriu legte gleich mal gewaltig los, knallte mir einen Ausdruck dessen auf den Tisch, was ich kurz zuvor im Internet zuhause gesehen hatte und gab das Wort an Becali weiter, dem ich aber ins Wort fiel. 'Herr Becali, Sir, Herr Dumitriu, Coach, ich weiß ich habe gewaltigen Mist gebaut, aber bitte, geben sie mir 5 Minuten, ein bisschen Zeit um ihnen die Situation zu erklären! Ich habe nicht vor zu lügen, ich werde komplett ehrlich sein mit ihnen, das schwöre ich auf das Grab meiner Mutter!' Damit hatte ich die kurze Zeit, um mich zu erklären!
'Ja, es stimmt, ich war dabei, wir haben gestern extrem übertrieben, die ganze Situation geriet außer Kontrolle, daran ist auch der exzessive Alkoholgenuss schuld, wir waren auf dem Heimweg, als zwei unserer Begleiter, ich kenne sie nicht persönlich, aber ich könnte ohne Probleme ihre Namen herausfinden, die Schnapsidee hatten, den Bus aufzubrechen. Ich konnte sie nicht davon abhalten, auch nicht davon, den Bus zu starten und ihn gegen die Wand zu lenken. In der Panik bin ich dann getürmt, meine Freunde und die zwei hinterher, aber ich schwöre ihnen, ich bin nicht gefahren, aber ich trage Mitschuld an diesem unverzeihlichen Vorfall!' Herr Dumitriu machte weiter, mich zusammenzuschimpfen, wo er aufgehört hatte, aber George Becali schien sich seiner Sache, die er wohl vorhatte nicht mehr sicher zu sein, er fuhr sich mit den Fingern über sein Kinn. Ich legte nach: 'Ich werde für den Schaden selbstverständlich aufkommen!' Damit hatte ich das Gespräch insofern geschickt verlagert, weil Becali genau wusste, dass ich das ohne einen Profivertrag niemals bezahlen würde können! Und ich schätzte ihn soweit ein, als dass er mich nicht für eine Dummheit in den Ruin treiben würde. Dumitriu's Worte waren mittlerweile nur noch nebensächlich, denn ich wusste, dass das Wort von Becali zählte. Ich setzte meinen reumütigsten Blick auf, ließ das Gesicht langsam in die Hände fallen und seufzte durch. 'Taci, Dumitru, taci!' brach es aus Herrn Becali heraus und innerhalb einer Sekunde verstummte der Coach. Eisernes Schweigen herrschte im Raum, George Becali schien zu überlegen, was er nun mit mir machen sollte. Ich hoffte. Hatte er es sich tatsächlich nochmals anders überlegt? Mit einem Seufzer räusperte er sich und zerriss ein etwa 8-seitiges Dokument vor meinen Augen. 'Lasă, Dumitru, ich will mit Herrn Tătăruşanu unter vier Augen reden!' Der neue Coach von Steaua verließ den Raum. Herr Becali schob seinen Stuhl neben meinen und zog mir mit der Hand von hinten eine drüber. 'Weißt du, was das war? Die Auflösung deines Vertrages, du dummer Junge! Ich war auch kein Heiliger, aber so etwas, curva, Sorin, warum, sag mir das, unser Verein, unser Bus, sag mir das Sorin, imbecil.' Mir stockte der Atem, ich hatte George Becali noch nie fluchen gehört, die Ansätze waren durchaus gut, aber eine Nachhilfestunde von Bogdan würde da nicht schaden. 'Herr Becali, ich kann nur sagen, es tut mir unendlich leid, ich wusste nicht, was ich tue, der Alkohol, ich,.... ich bringe für sie die Namen in Erfahrung, komme für den Schaden auf, was immer sie wollen!' Ich fing wieder eine von George Becali. 'Es geht mir nicht um den Schaden, du Idiot, du hast noch immer nichts gelernt, ich dachte, dass dich der Krankenhausaufenthalt, die schwere Verletzung zur Besinnung kommen lässt, dich endlich erwachsen werden lässt, Sorin, du bist nun 18, damit ein Kandidat für die erste Mannschaft. Ich habe keine Probleme mit deinem Charakter, solange du deine Leistungen bringst, aber ich kann keinen Spieler aufstellen, der im Suff Vereinseigentum beschädigt und sich nicht selbst unter Kontrolle hat. Dir ist nicht bewusst, dass solche Aktionen auch dem Verein, deinem Verein, unserem Verein schaden, den wir lieben! Jeder andere Verein hätte dich fallen gelassen, das hättest du auch verdient und wohl auch dafür gesorgt, dass du nie wieder Fuß im Profifußball fassen wirst. Immerhin hast du alles gestanden, das spricht für deinen Charakter, mir nicht wie früher dämlich ins Gesicht zu lügen, das wars aber auch schon!' Becali seufzte noch einmal tief durch, wandte den Blick von mir ab und sagte, bevor er mir mit der Hand zum Ausgang deutete: 'Dir wird klar sein, dass das weitreichende Konsequenzen haben wird, du bist vorerst bis auf weiteres deinen Profivertrag los, im Training will ich die sehen, 110% jedes Mal, ich werde mir noch mal überlegen, was ich mit dir mache!' Ich schloss die Tür und atmete durch, damit musste ich wohl rechnen, aber es schien fast so, als ob mich Becali nicht hätte fallen lassen. Draußen vibrierte mein Handy erneut, wieder eine SMS von Ioana: 'Ich muss dich sehen, komm ins Cafe Naţională wenn du fertig bist. Lösche diese Nachricht! ♥♡♥ Ioana.' Da ich ohnehin nichts mehr vorhatte, beschloss ich hinzugehen, obwohl ich eigentlich Ioana schmoren lassen wollte, dafür, dass sie meinen Geburtstag boykottiert hatte.
Ich fand sie in der Ecke des Cafés, sie blickte nervös um sich und winkte mich zu sich. 'Was soll die Geheimnistuerei, verdammter Dreck, bist du undercover hier, oder was wird das?' Ioana zerrte mich in einen Hinterraum und schloss die Türe. Ich war wütend und bombadierte sich mit Fragen, doch ganz im Stile eines Weltklassepolitikers löste sie all meine Fragen mit wenigen Sätzen. 'Sorin, halt für eine Sekunde die Luft an, ich erklär dir alles. Ich bin die Nichte von George Becali!' Ich schluckte. 'Was zum .... . Du bist was? Aber warum...... .' Ich brachte keine anständigen Sätze heraus, was sollte das ganze? Ich ließ sie reden. 'Ich hatte keine Ahnung, wer du bist, als ich dich kennen gelernt hatte, als du mir aber gesagt hast, dass du Fußballer bist, wurde ich aber neugierig und habe nachgeforscht. George hat unzählige Artikel über dich zuhause, deine Fehltritte, deine Auszeichnungen, alles. Das war auch der Grund, weshalb ich den Kontakt zuletzt auf ein Minimum reduziert habe, wenn er das erfährt, dass wir etwas miteinander haben, noch schlimmer herumgemacht haben, was denkst du, was passiert?' Ich zuckte mit den Schultern: 'Ich hatte doch keine Ahnung, wer du.....' 'Denkst du, das interessiert ihn? George hat selbst 3 Kinder, er ist ein Familienmensch, was denkst du, wenn ich mit 'einem wie dir' etwas habe?' 'Was meinst du mit 'einem wie mir'?' 'Das sind seine Worte, er hält viel von dir als Sportler, aber er sagt, dein Charakter verdirbt Menschen!' Ich schluckte erneut, so deutlich hatte mir das noch niemand gesagt. Ich hielt kurz ihre Hand und sagte dann kurz und bündig: 'Es ist besser, wenn wir das beenden, ich will nicht schuld an deinem sozialen Untergang sein, entschuldige, dass du mich kennen lernen musstest!' Noch während dem Satz drehte ich mich um und ging. Ich hörte nur, wie Ioana mehrmals meinen Namen rief und zu schluchzen begann, aber das interessierte mich nicht mehr. Ich besorgte mir ein Bier aus dem Supermarkt gegenüber, ein halbes Baguette mit Wurst und Salat und wählte die Nummer meines fünften Kontaktes in meinem Telefonspeicher.....
Quelle: Verzweiflung, Handy
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