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Ich, Manolo Grigione, habe es geschafft: Soeben habe ich meinen ersten Profivertrag unterzeichnet! Endlich ist mein Traum, Fußballprofi zu werden, wahr geworden. Doch damit gebe ich mich nicht zufrieden: Ich weiß, wie schnell es einen wieder auf die Nase hauen kann, und ich habe eigentlich noch nichts erreicht. Aber durch ein Erlebnis in meiner Kindheit habe ich gelernt, nie aufzugeben und immer weiterzumachen, immer alles zu geben. Ich habe die Chance, meinen Traum zu leben. Und diese Chance will ich nutzen.
Das war vor einem Jahr, als ich nach einem Probetraining bei Sampdoria spielen durfte. Zum ersten Mal gab es im Internet ein Profil von mir, nämlich auf giornaledicalcio.it. Keine große Seite, ich weiß. Aber es hat mich trotzdem riesig stolz gemacht! Mein Geburtsdatum wurde falsch geschrieben, eigentlich bin ich nämlich schon drei Jahre früher geboren worden. Aber die Seite ist eben nicht so professionell...
Inzwischen bin ich auch schon ein paar Zentimeter größer und 77 Kilogramm schwer. Und ein professionelles Profil habe ich auch, auf transfermarkt.de und der Vereinsseite.
Eigentlich bin ich ja ein Süditaliener. Geboren in Neapel, ein Bruder, recht geregelte Verhältnisse. Für Süditalien ging es uns ziemlich gut, denn mein Vater hatte einen guten Job. Ich wuchs behütet auf und begann schon mit drei Jahren, Sport zu machen. Allerdings hatte ich mit dem Fußball noch nichts am Hut - mein Vater, in seiner Jugend ein guter Handballer, brachte mich zum Handballtraining einmal die Woche. Ich mochte den Sport, war aber eher einer der schlechteren und bekam selten den Ball. Mit sechs oder sieben Jahren dann begann meine Liebe zum Fußball zu keimen. Mit meinen Klassenkameraden spielte ich in den Pausen Fußball, und schnell zeigte sich, dass ich zu den besseren gehörte. Bald wollte ich ins Training gehen, und mein Vater hatte nichts dagegen, wenn meine Leistungen in der Schule nicht darunter leiden würden.
Doch dann kam das einschneidenste Ereignis in meiner Kindheit. Ein Erlebnis, das ich nie vergessen werde.
Es war schon fast dunkel, ich kann mich noch genau erinnern. Ich war nach dem Training noch ein bisschen auf dem Platz gebelieben, um noch ein paar Übungen zu machen. Dabei vergaß ich die Zeit, und erst als es dunkel wurde, merkte ich, dass ich nach Hause musste. Schnell stieg ich auf mein Rad und fuhr Richtung zu Hause, doch unglücklicherweise wohnte ich ziemlich weit weg vom Trainingsplatz. Um keinen Ärger zu bekommen, fuhr ich so schnell ich konnte und beschloss, eine Abkürzung zu nehmen. Das war mir streng verboten, doch ich pfiff darauf und bog in ein dunkles Gässchen ein. Ab da erinnere ich mich nur noch verschwommen. Ich muss über irgenderwas gestürzt sein, und dann saß ich auch schon in irgendeinem Lkw. Ich roch noch irgendeine süßliche Substanz in einem Taschentuch, und dann war ich weg.
Als ich wieder aufwachte, lag ich in einem schwülen Kabuff, um mich herum etwa zehn andere Kinder. Sie schauten mich neugiereig, aber gleichzeitig traurig an. Ein Junge, etwa so alt wie ich, sprach mich leise auf Italienisch an und erklärte mir, wo ich hier war. Ich erfuhr, dass alle Kinder von einer organisierten Verbrecherbande irgendwo entführt wurde und gezwungen werde, zu klauen. Brieftaschen, Geldbeutel. Ab heute gehörte ich auch zu ihnen. Ich musste gehorchen, sonst gab es nichts zu essen. Ich fragte, warum sie nicht einfach weglaufen würden. Die Kinder deuteten auf ein Mädchen, Emilia. Es hatte nur noch drei Finger.
Es war die schlimmste Zeit meines Lebens, und ich lag nächtelang wach und weinte leautlose Tränen. Wenn man zu laut war, bekam man Schläge.
Ich lernte also, wie man Passanten ihr Geld klaut, ihnen den Geldbeutel aus der Tasche zieht, ohne dass sie es merken, und wie man Leute ablenkt. Es sind Fähigkeiten, die ich lieber nie gelernt hätte.
Immer wieder mussten wir in den Lkw steigen und fuhren in eine andere Stadt. Ich wusste nie, wo wir waren, und ich hätte auch nicht gewusst, wo etwa Turin, Florenz oder München waren.
Einmal begegnete ich bei meinen Streifzügen ein paar Jungen, die auf der Straße Fußball spielten. Ohne zu überlegen ging ich auf sie zu und sie ließen mich mitspielen. Endlich konnte ich wieder gegen den Ball treten!
Am Abend bekam ich Schläge, die ich mein Lebtag nicht vergessen werde. Irgendwie hatte der Mann, der für uns zuständig war, etwas mitbekommen. Noch nie war ich so verprügelt worden.
Irgendwann flog die ganze Sache auf. Ich weiß nicht genau warum, aber ich glaube, zwei Kinder waren bei einem Diebstahlversuch erwischt worden. Die Polizei befreite uns, aber ob die Männer verhaftet wurden, weiß ich nicht. Aber nach fast einem Jahr sah ich meine Eltern und meinen Bruder wieder.
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