„Was soll das denn heißen?“ fauchte ich wütend.
„Gar nichts. Es ist einfach eine Tatsache.“ versuchte Ragnar, mich zu beschwichtigen.
„Es ist ein gutes Angebot.“ pflichtete Emma ihm bei. Sie war mit Ragnar zusammen in meinem Büro aufgetaucht, worauf ich getrost verzichten konnte – die Lage zwischen uns war seit der Aufstiegsfeier etwas angespannt.
„Die haben beide Verträge hier. Bis 2020. Da können wir ja wohl hart bleiben.“
„Du weißt genau, was passiert, wenn man einem Jungen Spieler so einen Floh ins Ohr setzt.“ redete Ragnar weiter.
„Sollen sie eben Flöhe haben.“ meinte ich trotzig.
„Sigurður, sie wollen weg. Und das ist für die paar Zweitligaminuten eine Menge Kohle.“ versuchte auch Emma, mich zu überzeugen.
„Na schön.“ meinte ich schließlich nach einer Gedankenpause. „1.500.000€ für beide zusammen?“ fragte ich nochmals nach.
„Ganz genau.“ meinte Ragnar. „Die haben ernsthaft zu viel Geld da drüben.“ fügte er hinzu.
„Es soll unser Schaden nicht sein.“ meinte ich nur. „Ich gebe Lars Bescheid und lasse ihn die Mannschaft informieren. Haben wir es dann?“ fragte ich nach.
„Fast.“ meinte Ragnar nur und lächelte verlegen.
„Ernsthaft? Noch einer?“ fragte ich nach. Um euch kurz ins Bilde zu setzen – eben hatte ich den Abgängen der beiden Jugendspieler Sebastian Mockenhaupt und Julian Sama nach England zum FC Liverpool zugestimmt, beide würden je 750.000€ einbringen.
„Noch einer.“ stimmte Ragnar zu und auch Emma nickte.
„Wer?“ fragte ich nur.
„Markus Vucinovic.“
„Nach?“
„Gladbach. Halbe Millionen.“
„Meinetwegen.“ grummelte ich.
„Wirklich?“
„Ja.“ meinte ich leise. „Wenn die drei weg wollen, sollen sie gehen. Reisende soll man nicht aufhalten und so wichtig sind die nicht.“ fügte ich hinzu.
„Also dann.“ antwortete Ragnar. „Ich mache die Verträge fertig, ich bin in meinem Büro wenn du mich brauchst.“
„Dito.“ meinte Emma.
„Wozu sollte ich dich brauchen? Wenn ich eine große isländische Nervensäge will, hole ich mir Böðvarsson ins Büro. Der spielt besser Skat als du.“ sagte ich an Ragnar gewandt.
„Sigurður?“
„Ja?“
„Halt die Klappe.“
Gleich zwei unserer Top-Talente würden ab sofort unter Jürgen Klopp in Liverpool spielen
Ich lehnte mich in meinem Schreibtischstuhl zurück und warf einen Blick auf die Aktualisierte Kaderliste zur neuen Saison, es gab einige nicht irrelevante Änderungen. Doch auch ansonsten hatte sich einiges getan: Nach der Aufstiegsfeier hatten die Spieler den wohlverdienten Urlaub angetreten, und als sie wieder da waren, war die Saisonvorbereitung meiner dritten Saison als Cheftrainer der Münchener Löwen schon im vollen Gange. Nachdem wir im letzten Jahr im karibischen Kuba das Trainingslager absolvierten, ging es dieses Jahr zunächst für ein paar Tage nach Island – wo wir der Eröffnung „unserer“ Fußballakademie von Kópavogur beiwohnten – und anschließend ins Dänische Kopenhagen. Zudem hatte sich an der Vereinsstruktur etwas getan: Ab der übernächsten Spielzeit würden wir wieder eine U23 anmelden, und außerdem hatte Ragnar seinen Worten Taten folgen lassen und tatsächlich den Bau eines neuen Stadions in die Wege geleitet. Noch war zwar alles sehr vage, doch die Baupläne und Finanzierung für den neuen „LöwenPark“ standen bereits. Doch viel interessanter war natürlich, was sich am Kader tat: Zusätzlich zu den bereits feststehenden Abgängen von Busch (Nach Leihende nach Bremen), Sørensen (Nach Leihende nach Salzburg), Fomitschow (250.000€ nach Sandhausen) und Mast (250.000€ nach Sandhausen) gesellte sich auch noch Yannick Stark, den es nach einer Saison für 1.000.000€ wieder zurück nach Darmstadt zog. Dafür konnten schon direkt zum Trainingsauftakt Christoffer Remmer und Marvin Pourié begrüßt werden, die beide Ablösefrei aus Kopenhagen kamen, zudem traten die zuletzt verliehenen Leonardo Silva Sousa, Richard Neudecker, Emanuel Taffertshofer und Markus Vucinovic wieder in den Dienst der Mannschaft. Auch aus der U19 kamen zwei Spieler hoch, zum einen der U17-Nationaltorhüter Florian Meier und zum anderen der offensiv variabel einsetzbare Dänische Juniorennationalspieler Sebastian Friis. Doch zwei weitere Juniorennationalspieler verstärkten uns noch: Aus Island kamen die beiden U17-Spieler Alex Talvelasson – ein offensivstarker linker Außenverteidiger – und Nökki Tamminsson, ein sprintstarker Mittelstürmer. Beide waren jedoch von der Physis her noch viel zu schwach für den Profifußball und ansonsten jedoch überqualifiziert für den Jugendfußball, so dass es bei beiden auf eine Leihe hinauslief: In der dritten Liga würden beide Erfahrung sammeln, Talvelasson in Kiel und Tamminsson in Rostock. In den ersten beiden Vorbereitungswochen wurde der Kader dann fertiggestellt: In Zusammenarbeit mit Niko Weinholz kam Mats Møller Dæhli als neuer Top-Transfer für 3.000.000€ aus dem Breisgau, der Norweger würde definitiv Stammplatzambitionen haben und aufgrund seiner Beidfüßigkeit wohl auch definitiv auf beiden offensiven Außenbahnen Spielzeit bekommen. Dazu gesellten sich zwei Zweitligaspieler: Niko Gießelmann würde hinten Links André Fomitschow ersetzen und Druck auf Stammspieler Wittek ausüben, für die Zentrale kam Sebastian Maier vom FC St. Pauli. Beide kosteten jeweils 1.000.000€ und waren sich ihrer Rolle als Backup bewusst und akzeptierten diese, würden aber dennoch hoffentlich mehr Druck ausüben als zuletzt Fomitschow oder Mast. Zu guter Letzt wurde dann noch Emanuel Taffertshofer verabschiedet, der defensive Mittelfeldspieler löste seinen Vertrag in gegenseitigem Einvernehmen auf und wechselte nach Unterhaching.
Im Vergangenen Jahr Konkurrenten, ab sofort Kameraden: Niko Gießelmann und Sebastian Maier
Doch ganz so abgeschlossen war die Kaderplanung dann doch noch nicht: Dreizehn meldete sich per Mail bei mir und zeigte, dass sein von Reisen geprägter Sommer ihm einiges an Informationen beschert hatte. Mein privater Scout war ordentlich herumgekommen und gleich drei Turnieren beigewohnt: Zum einen der U21-Europameisterschaft, dazu dem U20-Afrika-Cup und der U20-Südamerikameisterschaft. Bei allen drei Wettbewerben hatte er einen interessanten Spieler ausmachen können und so telefonierten wir noch am selben Abend.
„Also Dreizehn, verblüffe mich.“
„Bin ich mit Sigurður verbunden oder soll ich dich Lazarus nennen?“ antwortete die bekannte Stimme am anderen Ende der Leitung.
„Wie bitte?“ fragte ich verwirrt.
„Lazarus. Aus der Bibel. Du warst auch schon mal schneller.“
„Trinkst du, während du mir Spieleranalysen schreibst?“
„Zu Beginn nicht, aber sich Spiele mit zwei Teams im 5-4-1 anzugucken ist auf Dauer echt anstrengend. Lazarus ist von den Toten auferstanden. Und du warst in der Klapse.“
„Ja, aber erst ist er gestorben. Bin ich nicht.“ stellte ich fest.
„Jacke wie Hose.“ meinte Dreizehn genervt. „Also, können wir?“
„Gerne doch.“ meinte ich und klappte meinen Laptop auf.
„Also gut, wo fangen wir an? Europa, Afrika oder Südamerika?“
„Wenn du wüsstest, wie egal mir das ist.“ meinte ich mit einem Augenrollen.
„Gut, Südamerika.“ antwortete Dreizehn. „Wenig überraschend, dass Argentinien wieder im Finale stand. Brasilien schon etwas mehr.“ begann er. „Besonders herausgestochen ist einer. Ramon Samuel Pinto Chaves, Künstlername Samuelson. Innenverteidiger.“ führte er weiter aus.
„Der letzte brasilianische Innenverteidiger, den du mir aufgequatscht hast, ist letztes Jahr mit Sandhausen abgestiegen.“ unterbrach ich grinsend.
„Und war vom Notenschnitt her trotzdem ihr bester Spieler.“ konterte Dreizehn. „Also, Samuelson.“ fuhr er fort. „Die Tatsache, dass er nicht in der Elf des Turniers stand, sagt eigentlich genug über diese Fußballjurys aus. Er war definitiv der beste Innenverteidiger Brasiliens und hat den Laden dort zusammengehalten und war auch im Spielaufbau ein starkes Element. Einem Verein mit flachem und präzisem Passspiel im Spielaufbau kommen seine saubere Passtechnik und seine für einen Innenverteidiger ordentliche Beweglichkeit sehr gelegen, das belegt auch seine extrem geringe Fehlpassquote. Er neigt nicht zu langen Schlägen oder riskanten Steilpässen, bringt diese aber zuverlässig an, wenn sich die Räume bieten. Dadurch wurde sein Aufbauspiel vor allem im Halbfinale zwar recht vorhersehbar, was aber auch am schlecht gestaffelten Mittelfeld lag. Und auch im rein defensiven war seine Leistung überwiegend positiv. Er besticht mit einer sehr guten Antizipation bei gegnerischen Dribblings und hat ein exzellentes Timing in Zweikämpfen, er führt die Duelle sauber und hat im Schnitt weniger als zwei Foulspiele pro Partie für die U19 von Brasilien beziehungsweise vorher für die U19 des FC Santos. Dazu kommt eine überragende Antrittsschnelligkeit und seine ausgeprägte Kopfballstärke, damit bringt er schon einiges mit sich. Allerdings verteidigt er sehr offensiv, das kann zweifelsohne zu Problemen führen, wenn er zu früh aus der Kette ausbricht und die Lücke hinter ihm nicht rechtzeitig geschlossen wird. Trotzdem, meiner Meinung nach ein Exzellenter Innenverteidiger oder gegebenenfalls defensiver Mittelfeldspieler. Vom Spielstil her vergleichbar mit einem jungen Javi Martínez.“ monolgisierte er vor sich hin und ich nickte zustimmend. „Als Gegenstück dazu würde ich meinen zweiten Kandidaten bezeichnen, Mervan Ernström. Seines Zeichens schwedischer U21-Nationalspieler und ebenfalls Innenverteidiger. Er könnte von seiner Art her den perfekten Gegenpol zu Samuelson bieten. Er neigt zu sehr riskanten Pässen und hat entsprechend eine eher schwache Passquote, dafür aber auch zwei Vorlagen bei der EM geben können. Sein Defensivspiel ist dagegen sehr abwarten ausgerichtet, mit wenigen bis gar keinen Vorstößen und eher absichernd für den zweiten Innenverteidiger oder den jeweiligen Außenverteidiger. Dazu ist er mit 1,86 Metern knapp zehn Zentimeter kleiner als Samuelson und im Luftduell keine wirkliche Gefahr, aber seine Bodenzweikämpfe sind dafür sehr stark.“ redete er weiter. „Und als drittes wäre da noch der wohl einzige Spieler, den mehr Vereine auf dem Zettel haben dürften. Mit Kamerun Afrikameister geworden, Torschützenkönig und das als Flügelstürmer. Edgar Siani, spielt noch in seiner Heimat und hat einfach ein bärenstarkes Turnier gespielt. Er ist als Flügelstürmer ein sehr offensiver Akteur, der zudem technisch brutal stark ist und in engen Räumen sehr effizient agiert. Andererseits ist seine defensive Mitarbeit wie sein gesamtes Spiel extrem engagiert, jedoch noch zu stürmisch und unbedarft. Sein Offensivspiel war anfangs von extrem vielen schlechten Entscheidungen geprägt, deswegen hat ihn wohl noch keiner geschnappt. Ich habe mir ein paar Aufzeichnungen aus seinen Vereinsspielen beschafft, das war teilweise gruselig. Aber mittlerweile hat sich das deutlich gebessert. Er ist auf Grund seiner technischen Klasse für kurze, schnelle Kombinationen in engen Räumen sehr gut geeignet, aber für weiträumigere Aktionen und vor allen Dingen für hart geführte Zweikämpfe fehlt ihm noch die physische Robustheit. Aber durch seine Schnelligkeit kann er gerade in Kontersituationen von Nutzen sein, weil er ein gutes Auge für freiwerdende Räume besitzt und in der Lage ist, auch mit Ball am Fuß brutal schnell steil zu gehen und auch schnell den Abschluss zu suchen. Er ist nach allem was ich beobachtet habe auch noch auf keine konkrete Position festgelegt, hat im Verein und auch im Halbfinale auch schon als Mittelstürmer gespielt. Er wäre damit wohl der technisch stärkste und am wenigsten abschlussorientierte Stürmer im Kader, zudem kann man bei 68 Kilogramm Körpergewicht auf 1,74 Meter Körpergröße Kopfbälle getrost vergessen. Aber lässt er sich oft zurückfallen und agiert zwischen den Linien, aber seine bisherigen Spiele lassen darauf schließen, dass er relativ gut in kurze, flache Kombinationen eingebunden werden kann und auch als einzige Spitze gelegentlich auf die Flügel ausweicht.“
„Das war eine Menge Text.“ resümierte ich. „Aber ich hab mir ja die Videozusammenschnitte angesehen, ich denke du hast zumindest nicht Unrecht, wenn du von sehr talentierten Spielern redest.“
„Also soll ich den Kontakt herstellen?“ fragte er mich.
„Ja, ich denke schon.“ antwortete ich.
Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile über die Spieler und letztlich kamen wir überein, alle drei zu verpflichten wenn möglich – der Kader wurde einmal um den Globus verbessert, Siani kam direkt aus Kamerun, Ernström aus seiner schwedischen Heimat und Samuelson aus Brasilien. Letztlich konnten auch alle drei Spieler überzeugt werden und schlossen sich uns an, und reisten noch ins Trainingslager in Dänemark nach. Dort ließ ich sehr viel rotieren und probierte viel aus – vom bekannten 4-5-1 über 4-2-2-2-. 3-6-1 und 3-5-2 bis hin zum 5-4-1, und wir fuhren dabei exzellente Ergebnisse ein: In fünf Begegnungen vier Siege und ein Remis, dabei ansprechende Leistungen gegen zwei Premier League-Vereine. Aus dem Mannschaftsverbund stachen mit ihren Leistungen zwei Spieler besonders heraus: Zum einen Mats Møller Dæhli, der bei seinen vier Einsätzen mit 6 Assists und 2 Treffen brillierte, zum anderen Leonardo Silva Sousa. Der Brasilianer zeigte sowohl an der Seite von Börner als auch an der von Schindler ansprechende Leistungen und glänzte sogar in der Rolle des Wortführers zwischen den beiden neuen Samuelson und Ernström.
Einer der Gewinner der Vorbereitung: Leonardo Silva Sousa
Den Abschluss der Saisonvorbereitung bildete dann die an das Spiel anknüpfende Saisoneröffnung, bei der die Spieler den Fans präsentiert und die Neuzugänge mit frenetischem Jubel empfangen und begrüßt wurden – die Euphorie war riesig und die Vorfreude ebenfalls und alle waren sich einig – der Klassenerhalt würde schwer, aber machbar!
Quellen: Klopp, Gießelmann+Meier, Leonardo Silva Sousa |
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