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Die Stressige „englische Woche“ mit drei Topspielen in Folge lag hinter mir, als ich an diesem Montagmorgen aufstand und aus meinem Zimmer in Richtung unseres offenen Wohnzimmer-Esszimmer-Küche-Arrangements humpelte. Ebenfalls hinter mir lag Amanda, die sich noch im Tiefschlaf befand und mir dennoch mit einer Hand hinterhertastete, als ich mich aus ihrer engen Umklammerung löste. Ich griff mir auf dem Weg zur Küche meine Dose Oxycodon und der Geruch nach frischen Brötchen, Croissants und Kaffee stieg mir in die Nase und verriet mir, dass Niels bereits aufgestanden sein musste. Und tatsächlich saß mein Co-Trainer auf einem der Barhocker, die wir auf sein Anraten hin gekauft hatten, und stierte mit missmutigem Blick über die „Theke“ in den Wohnzimmer-Bereich.
Ein alles andere als schäbiger Anblick
„Na, gut geschlafen?“ fragte er mürrisch.
„Ich schlafe nicht. Ich träume nur.“ antwortete ich tiefgründig und setzte mich neben ihn. „Hast du mir auch einen gemacht?“ fragte ich und nickte in Richtung der beiden Kaffeetassen, die vor ihm standen.
„Was?“ fragte Niels irritiert. „Ach die, nein. Beides meine.“
„So viel Kaffee ist nicht gesund, weißt du?“ sagte ich und überlegte kurz aufzustehen, um mir selber einen zu machen – entschied mich aber dagegen.
„Schon möglich. Aber ich brauch das Koffein.“ kam es von Niels zurück.
„Wozu?“ fragte ich schnippisch zurück.
„Zum wach bleiben. Ich hab letzte Nacht kaum schlafen können.“ fragte Niels, dessen Stimmung sich nicht gerade besserte.
„Tragisch.“ erwiderte ich teilnahmslos, griff mir eine der vor ihm stehenden Tassen und nahm einen tiefen Schluck. „Der ist gut.“ fügte ich hinzu und prostete Niels zu, der sich kopfschüttelnd wieder abwandte.
„Du bist 'n Arschloch.“ sagte er schließlich und nahm selber einen Schluck.
„Wieso?“ fragte ich erstaunt. „Oder besser: Ich weiß. Aber wie kommst du gerade jetzt darauf?“
„Fragst du, während du meinen Kaffee trinkst. 1:0 für die Ironie.“
„Das mach ich öfter Mal, meistens hast du nichtmal 'nen Reservekaffee zur Hand. Und neuerdings stört es dich?“
„Es stört mich nicht erst seit heute, wie du sehr wohl weißt.“ gab Niels schroff zurück.
Ich wusste nicht so recht, was ich dazu sagen sollte und so blieb ich einfach stumm sitzen und trank 'meinen' Kaffee, während ich Niels dabei beobachtete, wie er sich Unmengen an Zucker in den Seinen schaufelte. „Sag mal, nimmst du immer so viel Zucker?“ fragte ich verwundert – bisher hatte Niels seinen Kaffee meiner Erinnerung nach schwarz getrunken, höchstens Mal mit etwas Milch.
„Was?“ fragte Niels gedankenverloren. „Ach das, nein, das ist Kokain.“ Mir blieb der Mund offen stehen – mit so einer Antwort hatte ich nicht gerechnet. „Na, wie ist es, mal auf der anderen Seite von so 'nem Gespräch zu sitzen?“ fragte Niels schließlich.
„Irgendwie ungewohnt.“ gab ich zu. „Aber jetzt mal im Ernst – was ist dein Problem?“
„Zu wenig Schlaf!“ blaffte Niels mich an.
„Sagtest du schon. Aber was kann ich dafür?“
„Ihr seid ziemlich laut. Und die Wände dafür ziemlich dünn.“
„Und weiter?“
„Das ist auf Dauer nervig.“
„Werd' erwachsen.“
„Bin ich.“
„Dann hör auf, über dünne Wände zu motzen!“ blaffte ich zurück.
„Wieso?“
„Du hast die Wohnung ausgesucht!“
„Hab ich nicht, das warst du.“ erwiderte Niels etwas irritiert.
„Ach stimmt ja. Ich hab sie nämlich auch bezahlt.“ gab ich angesäuert zurück.
„Sigurður, ich –“
„Kauf dir 'n paar Ohrstöpsel und hör' auf zu jammern.“ fiel ich ihm ins Wort. Niels schien kurz davor, mich anzuschreien, doch just in diesem Moment kam Amanda ins Zimmer stolziert.
„Guten Morgen!“ rief sie euphorisch und zwinkerte mir schelmisch zu.
„Wenn's nur einer wäre.“ grummelte Niels vor sich hin.
„Hm?“
„Nichts, nichts. Er hat seine Tage.“ beschwichtigte ich Amanda, die sich mit besorgtem Blick an Niels wenden wollte.
„Ach ist das so? Braucht er ein frisches Tampon?“ fragte sie erstaunt nach und man konnte spüren, wie Niels die Galle hochkam.
„Er hat schlecht geschlafen. Zu laute 'Nachbarn'.“ versuchte ich, zu vermitteln – zu spät. Niels war aufgesprungen, hatte die leeren Kaffeetassen mit so einer Wucht in die Spüle gedonnert, dass es mich wunderte, keine Scherben zu sehen, und war auf den Flur hinausgestürmt.
„Zu viel?“ fragte Amanda mich etwas überrascht. Ich reagierte gar nicht auf sie, sondern folgte Niels und wollte ihn zur Rede stellen.
„Was sollte das denn bitte?!“ keifte ich ihn an, kaum dass ich die Tür zum Flur hinter mir geschlossen hatte.
„Wie bitte?!“ fuhr Niels zurück. „Ist das dein verdammter Ernst?!“
„Was meinst du?“ fragte ich und konnte nicht umhin, etwas erstaunt zu sein. Natürlich waren meine Sprüche nicht die einfachste Morgenunterhaltung, aber bislang hatte Niels eigentlich immer versucht, mir dabei Paroli zu bieten.
„Sie. Du. Ihr beide!“ Niels wurde laut.
„Was meinst du bitte?!“ So langsam wurde ich auch sauer.
„Es ist als wäre sie dein Haustier!“
Stille füllte den Flur. Niels wusste, dass seine Metapher nur für äußerst wenige Menschen Sinn ergab – und mein Blick sagte deutlich, dass ich nicht zu diesen gehörte.
„Du meinst, sie kackt uns ins Zimmer?“ fragte ich und hob eine Augenbraue.
„Nein! Und ich sagte nicht, sie sei nicht stubenrein!“
„Dann weiß ich wirklich nicht, was ich dazu sagen soll.“
„Es ist einfach... Als wäre sie dein Hund.“
„Oh, dazu fiele mir was ein –“
„Sie ist permanent da. Immer. Sehr loyal, klar. Wie Hunde eben. Eigentlich wohnt sie nicht hier, aber gefühlt tut sie das schon. Sie ist nett und ich komme mit ihr klar, aber es geht einem irgendwann auf die Nerven. Und wenn sie dann noch kreischt, als würdest du eine Katze in den Gartenhäcksler schmeißen, ist das nicht gerade hilfreich!“
So in etwa sieht eine schwache Metapher aus
„Ich versteh' dich nicht. Was ist dein Problem?! So läuft das nun mal in einer Beziehung. Du warst doch auch mal –“ und da dämmerte es mir. Das war das Problem. „Geht es darum?“ fragte ich und musste keine Antwort abwarten, der Gesichtsausdruck in Niels' Augen sprach Bände.
„Was ist los?“ fügte ich an.
„Es ist einfach nur... Ich weiß nicht genau, wie ich das beschreiben kann.“
„Ist es die Leere?“
„Ja. Oder eher, Nein. Beides, schätze ich.“
„Ich fürchte, ich komme mal wieder nicht ganz mit.“
„Wenn ich euch sehe, denke ich daran, was ich hatte und dass –“ Niels schluckte und brach den Satz ab. „Normalerweise komme ich einigermaßen klar, aber wenn mir das so unter die Nase gerieben wird, ist es einfach... schwer.“ Niels sah mich mit einer Mischung aus Trauer und innerer Leere an.
„Ich verstehe. Und jetzt?“ fragte ich und wartete auf irgendeine Reaktion. Niels schien von meiner offenen Reaktion überrumpelt und bekam erst einmal keinen Ton über die Lippen.
„Könnt ihr einfach –“ wieder blieb Niels die Stimme weg und der Schloss den Mund.
„Wir halten uns angemessen zurück. Vielleicht.“ sagte ich und zwinkerte ihm zu. Er nickte nur stumm und ging langsam wieder in Richtung Wohnzimmer und ich schüttelte gedanklich den Kopf – war ich auch so ein Weichei gewesen? Wie dem auch sei, ich wusste, wie es Niels im Moment ging – und auch, dass ich vielleicht wirklich etwas Rücksicht nehmen sollte.
Quellen: Wohnzimmer, Hund
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