Zwischen mir und Amanda lief es zuletzt entgegen Niels' Prognose ziemlich gut. Wir trafen uns fast jede Woche, meist sogar mehrfach, und ich würde es definitiv nicht als Beziehung bezeichnen, aber es war eine lockere Angelegenheit mit hohem Spaßfaktor für uns beide. So auch an diesem Dienstag Nachmittag: Es war Amandas freier Tag, die Spieler hatten nur einmal am Vormittag Training gehabt und ich lag so ohne irgendwelche Pflichten für den Tag bei Amanda auf der Couch.
„Hey du.“ sagte sie, als sie – später als üblich – vom Yoga wiederkam. „Ich war noch kurz beim Bäcker.“ beantwortete sie meinen fragenden Blick und hielt quasi als Beweis dafür eine Brötchentüte hoch. Ich nickte nur stumm, während sie ihre Sporttasche in den Flur stellte, die Brötchen in die Küche brachte und sich dann zu mir aufs Sofa setzte. Eine Weile schwiegen wir uns an, ehe sie das Wort ergriff.
„Wir müssen reden.“
„Ach ja? Man kann so schöne Dinge mit dem Mund machen, warum Zeit mit reden verschwenden?“ fragte ich und legte meinen Arm um ihre Hüfte.
„Sigurður, nicht jetzt. Ich meine es ernst.“ sagte sie energisch und zog meine Hand weg.
„Ok, was willst du?“ fragte ich genervt.
„Wenn du ein Angebot von einem Verein aus dem Ausland bekommen würdest, wo du viel mehr verdienen würdest, würdest du es doch sicher annehmen, oder?“ fragte sie dann unsicher.
„Ähm, ich nehme es an... Wenn der Verein auch sonst besser als Hobro ist, ich bessere Spieler hätte und mehr Chancen auf internationale Titel, sicherlich?“
„Und dich würde es doch sicherlich auch nicht stören, wenn du dann umziehen müsstest, oder?“ hakte Amanda nach.
„Ich... Ich denke nicht.“ antwortete ich – die Art und Weise, wie sich dieses Gespräch entwickelte, gefiel mir überhaupt nicht.
„Jetzt hör' auf drum herum zu reden, was ist los?“ fragte ich nach.
„Also...“ druckste Amanda herum.
„Waaas?“
„Ich ziehe nach Deutschland!“ presste sie über die Lippen.
„Was?“ fragte ich fassungslos.
„Ich habe ein Angebot von der HypoVereinsbank. Ich soll eine wichtige Position dort übernehmen, aber dafür muss ich nach Deutschland ziehen. Nach München, wo sie ihren Firmensitz haben. Und ich werde das Angebot annehmen.“
Ich sah sie fassungslos an. „Wie lange weißt du das schon?“ fragte ich schließlich.
„Das Angebot habe ich seit einer Woche. Und angenommen habe ich es gestern Abend.“
„Und mir hast du nichts gesagt, weil –“
„Weil es dich nichts anging. Ich wollte die Sache in Ruhe alleine entscheiden können, ohne dass du mir dazwischenkommst.“
Ich atmete durch – damit hatte ich wirklich nicht gerechnet.
„Und wann fliegst du?“ fragte ich schließlich.
„Ich habe heute mit meinem Chef geredet, er lässt mich ziehen. Ich soll am Montag dort anfangen, sie stellen mir für die ersten Monate eine Wohnung zur Verfügung.“ redete sie sich heraus.
„Wann?“ hakte ich energisch nach.
„Mein Flieger geht heute Abend, 21:20.“ sagte sie und ließ den Kopf hängen. Ich sah sie an und konnte selbst kaum glauben, was ich hörte.
„Was?!“ fragte ich schließlich und rang um Fassung.
„Was denn?“ fragte Amanda unsicher. „Du hast es doch gestern selber gesagt – was wir haben, ist keine Beziehung und deswegen finde ich ist es mein Recht, das alleine zu entscheiden!“
„Darum geht es doch nicht!“
„Worum denn dann?“
„Es geht darum, dass du mir nicht vertraust! Und dass du das Angebot eine Woche lang geheim hältst!“
„Aber ich –“
„Weißt du was?!“ fuhr ich dazwischen. „Ich will es nicht hören. Viel Spaß in München!“ ich stand auf, innerlich tobte ich vor Wut.
„Sigurður, ich –“ Amanda war aufgesprungen und hielt meinen Arm fest.
„Komm' mir nicht mit Sigurður!“ schrie ich und riss mich los. Amanda rief mir noch irgendwas hinterher, doch mir war das mehr als egal. Im Flur sah ich dann durch die Angelehnte Tür zu ihrer Garderobe, dass sie sogar die Koffer schon gepackt hatte – viel schien sie nicht mitzunehmen.
Einige Stunden und viele Drinks und mit Sicherheit auch ein paar Oxycodon später fand ich mich in irgendeiner Edelbar in Hobro wieder. Ich saß am Tresen, meinen Gehstock neben mir an den Stuhl angelehnt, und nippte an meinem Glas Scotch – ich war so dicht, dass ich nichtmal die Marke zu schmecken vermochte. Ich wusste weder, wie lange ich schon da war – die Bar hatte praktischerweise auch keine vom Tresen einsehbaren Fenster, die irgendetwas über den Sonnenstand hätten verraten können, noch wusste ich, wie ich hierhergekommen war oder wo ich überhaupt war. Ich leerte mein Glas und sah mit leeren Augen zum Tresen hoch.
„Noch einen.“ brachte ich heraus und war selbst verwundert, wie sehr ich schon lallte.
„Noch einen?“ fragte der Barkeeper verwundert – es war ein kleiner und dicklich aussehender Mann, dessen teuer und fein gebügeltes Hemd nichtsdestotrotz Stil ausdrückten. Teuer gebügelt, was rede ich nur schon wieder... „Sie hatten schon sieben Gläser Glenmorangie, das ist nicht nur teuer, sondern auch nicht sehr gesund.“
„Noch einen!“ wiederholte ich und überschlug es im Kopf: 7 Gläser á 4cl machte mehr als viertel Liter Whiskey, und bei einem Getränk mit rund 55% Alkohol war das wirklich nicht zu verachten. Der Kellner sah mich mit prüfendem Blick an, ich stierte zurück.
„Nein, er nimmt einen Kaffee.“ unterbrach eine Stimme unser Blickduell. Ich vermutete den Urheber der Stimme irgendwo bei der Tür und versuchte eilig, dem Wortklang ein Gesicht zuzuordnen: Es war Niels, der jetzt näher kam und sich auf den Hocker neben mir setzte.
„Was soll das?“ fragte ich ihn wütend.
„Du hattest genug. Mehr als genug, und dass auch ohne die Oxy nebenbei!“
„Sag mal woher willst du wissen, dass ich genug hatte?“
„Weil sieben Gläser Whiskey für jeden zu viel sind, auch wenn er kein Suchtproblem hat.“
„Ich hab' kein Suchtproblem.“
„Natürlich. Und was ist das hier dann?“
„Therapie.“
„Therapie?“ fragte Niels, sichtlich aus dem Konzept gebracht.
„Therapie!“ sagte ich bestimmt und musterte mit kritischem Blick das Gesöff, dass der dicke Barmann unter 'Kaffee' zu verstehen schien.
„Ok, und was soll das bitte für eine Therapie sein?“ hakte Niels nach.
„Ganz einfach: Ich desinfiziere innere Verletzungen.“ sagte ich und nippte an dem Kaffee – er war nicht nur widerlich wässrig, sondern auch noch lauwarm. Ich verzog das Gesicht und Niels sah mich mit einer Mischung aus Verwunderung und vermutlich auch Abscheu an.
„Versuchen, Erinnerungen mit Alkohol zu löschen, kann nicht klappen. Alkohol konserviert.“ antwortete er dann. Ich sah ihn an und kniff die Augen zusammen.
„Was? Ich kann auch solchen Blödsinn absondern.“
„Darum geht es nicht.“
„Sondern?“
„Wenn ich die Augen zusammenkneife, siehst du aus wie eine hübschere Version meiner Putzfrau!“ sagte ich.
„Sehr witzig. Vielleicht sollten wir dir wirklich kein Koffein geben. Und was ist wirklich?“
„Ich hab' ein Paar Fragen. Warum bist du hier? Warum bin ich hier? Und vor allen Dingen – wo sind wir hier?“ fragte ich. Niels schien eine Weile nachzudenken, ehe er antwortete.
„Warum du hier bist weißt du. Ich bin hier, weil Amanda mich angerufen hat. Sie macht sich Sorgen um dich.“ Niels machte eine Pause, in der Hoffnung eine Reaktion meinerseits zu erwecken – vergebens.
„Und wo sind wir?“
„In einem Vorort von Hobro. Du bist fast 'ne halbe Stunde hierher gefahren, war gar nicht so leicht dich zu finden.“
„Aber was willst du hier?“
„Ich sagte doch, Amanda hat –“
„Schwachsinn.“ fuhr ich ihm dazwischen. „Ich erkenne es, wenn du lügst. Also?“
Niels knickte mental ein und lenkte ein. „Na gut. Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, zufrieden?“
„Naja. Ich wäre zufriedener, wenn du mich in Ruhe lassen würdest.“ sagte ich und drehte mich demonstrativ wieder der Theke zu.
„Nein, du wirst mit mir darüber reden, was passiert ist.“
„Werde ich das?“
„Ja, wirst du.“
„Und ich habe keine Wahl?“
„Nein.“ sagte Niels siegesgewiss.
„Doch, stimmt ja. Ich habe ja Beine!“ sagte ich und stand auf, doch nicht schnell genug: Niels schnappte mir meinen Stock vor der Nase weg und ich hatte Mühe, nicht umzukippen.
„Aber weit kommen wirst du so nicht.“
Ich stützte mich ab und setzte mich wieder auf den Barhocker. „Was willst du von mir?“
„Rede darüber. Mit mir, mit irgendwem!“ sagte Niels energisch.
„Ok, aber bitte nicht mit dir. Du bist schon so nervig genug.“ sagte ich und wechselte meine Strategie.
„Wirklich?“ fragte Niels, sichtlich überrascht.
„Hey, ich bin doch nicht blöd. Ich weiß, dass ich jemanden brauche, um zu reden.“
„Ich meine eine Psychologin, das weißt du schon, oder?“
„Klar.“
„Aber du meinst eine Nutte!“
„Klar.“ sagte ich und leerte den vor mir stehenden 'Kaffee' mit einem Zug.
Niels sah mich irritiert an. „Komm, wir fahren.“ sagte er schließlich. Ich nickte und kramte in meinen Hosentaschen nach Geld. Ich fand einen 50€-Schein und warf ihn auf den Tresen. „Stimmt so.“ sagte ich in Richtung des Baristas, der den Schein mit einem Lächeln nahm. Ich ignorierte Niels kritischen Blick und humpelte zur Tür. Draußen angekommen musste ich erst einmal eine Weile nach meinem Wagen suchen – ich konnte mich beim besten Willen nicht daran erinnern, wo er stand.
„Und was ist jetzt mit Amanda?“ fragte Niels vorsichtig.
„Nichts. Es ist vorbei, sie zieht nach München.“
„Ich bin versucht zu sagen, dass ich es dir ja gesagt habe – aber irgendwie tust du mir doch leid.“
„Ich will dein Mitleid nicht.“
„Versuch' doch einfach, die Sache positiv zu sehen.“
„Und wie bite soll das gehen?!“ fragte ich genervt und fuhr herum.
Niels stutzte kurz. „Von dem, was du erkennen und messen willst, mußt du Abschied nehmen, wenigstens auf eine Zeit. Erst wenn du die Stadt verlassen hast, siehst du, wie hoch sich ihre Türme über die Häuser erheben.“
„Was? Du zitierst Nietzsche?“
„Nietzsche war ein weiser Mann.“
„Nietzsche starb in einem Irrenhaus!“ merkte ich genervt an. „Weißt du was? Schei'ß auf das alles. Diese ganze Mann-Frau-Beziehung-Kiste. Das bringt doch alles nichts, niemandem. Guck' dir mich an, oder guck' dir dich an. Du bist verheiratet und hast sogar 'ne Tochter – und trotzdem hast du an einem Montagnachmittag nichts besseres zu tun, als die Bars der Stadt nach deinem Nachbarn abzusuchen. Wir bekommen die Welt, die wir verdienen. Und da ist für diese Mann-Frau-Sache einfach kein Platz.“ sagte ich. Mittlerweile hatte ich meinen Wagen gefunden und wuchtete mich auf den Fahrersitz. Niels sah mich entgeistert und etwas verwirrt an, scheinbar dachte er noch über meine Worte nach.
„Du kannst so nicht fahren!“ rief er schließlich.
„Na klar kann ich das. Und wenn nicht, suchst du eben morgen die Krankenhäuser um Hobro ab.“ sagte ich und schloss die Tür. „Dann musst du dir wenigstens nicht eingestehen, dass die Liebe für den Arsc'h ist!“ rief ich und ließ den Motor aufheulen.
Quellen: Koffer, Bar
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