An die Sondersitzung des Düsseldorfer Innenausschusses waren große Hoffnungen geknüpft: Die Politiker sollten die Hintergründe der Love-Parade-Katastrophe aufklären. Doch die Runde kam über plumpe Schuldzuweisungen nicht hinaus.
Düsseldorf - Es war am Dienstagabend um 22.10 Uhr, als ein Bote an der Hauptpforte des Düsseldorfer Innenministeriums einen Packen Papier abgab. 37 Seiten, erstellt von einer renommierten Wirtschaftskanzlei und adressiert an den Staatssekretär im Hause, nahmen die Wachhabenden mit interessiertem Blick entgegen. Es war die erwartete Rechtfertigungsschrift der Stadt Duisburg.
Dieser Zwischenbericht, der den 25 Mitgliedern des Innenausschusses nun zu ihrer Love-Parade-Sondersitzung am Mittwochmittag vorgelegt wurde, ist ebenso eindeutig in seiner Aussage wie in seiner Absicht: Die Verwaltung habe "keine allgemeine oder gar übergeordnete Zuständigkeit für die Sicherheit der gesamten Veranstaltung" gehabt, heißt es in dem Dokument, für das die Juristen der Kanzlei Heuking, Kühn, Lüer, Wojtek nach eigenen Angaben 35 Ordner mit Akten eingesehen und Beamte der Stadt befragt hatten. Duisburg sei nicht zuständig gewesen "für Sicherheit und Ordnung im Zusammenhang mit dem Ablauf der Veranstaltung am 24.07.2010, insbesondere nicht für die Regulierung der Besucherströme auf der Karl-Lehr-Straße, im Tunnel und auf dem Veranstaltungsgelände. Dies oblag dem Veranstalter und der Polizei", schrieben die von der Stadt beauftragten Rechtsanwälte.
Es gebe derzeit "keine Erkenntnisse" darüber, dass die Mitarbeiter der Stadt ihre gesetzlichen Pflichten verletzt und "auf diese Weise zum Unglück beigetragen oder es gar verursacht hätten". Allerdings zeigten die Recherchen der Verwaltung, dass "Dritte" - gemeint sind wohl die Love-Parade-Veranstalter um den McFit-Betreiber Rainer Schaller - gegen Vorgaben und Auflagen verstoßen hätten. "Wir können nicht ausschließen, dass diese Verstöße im Zusammenhang mit dem Unglück relevant geworden sind", heißt es in dem Zwischenbericht.
Demnach hätten aber auch geparkte Polizeifahrzeuge die Rampe deutlich verschmälert, so die Verwaltung. Dabei sei die Fläche als Fluchtweg gekennzeichnet und nicht als Abstellplatz gedacht gewesen.
Auf dem Video der Überwachungskamera 13 ist allerdings zu sehen, dass die dort stehenden Wagen keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Entstehung des tödlichen Gedränges gehabt zu haben scheinen.
Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger (SPD) nahm die Polizei daher erneut in Schutz und bekräftigte seine bereits in der vergangenen Woche erhobenen Vorwürfe gegen die Stadtverwaltung: Es bestehe der Verdacht, dass sie die Einhaltung der Auflagen nicht kontrolliert habe.
"Ich werde nicht zulassen, dass die Polizei als Sündenbock für die Fehler und Versäumnisse anderer herhalten muss", so Jäger in der Sondersitzung des Ausschusses. "Es ist schäbig, erst die Polizei um Hilfe zu rufen, weil die Veranstaltung aus dem Ruder läuft, und ihr dann auch noch den Schwarzen Peter zuzuschieben."
Polizeiinspekteur Dieter Wehe erklärte, die Ordner des Veranstalters hätten Anweisungen und Vereinbarungen nicht umgesetzt. Als zur Minderung des Besucherstroms nach Abstimmung eine Polizeikette gebildet worden sei, hätten die Security-Leute nicht wie vereinbart den Zulauf in die Tunnel begrenzt, sondern sogar erhöht. Die nachdrängende Menschenmenge habe den Druck gesteigert.
Für Innenminister Jäger ist klar: "Wenn das Sicherheitssystem des Veranstalters funktioniert, muss die Polizei nicht zur Hilfe gerufen werden." Der aus Duisburg stammende Politiker sicherte jedoch zu, sämtliche Vorwürfe gegen die Beamten aufzuklären. Gleichzeitig deutete er an, dass es auch bei der Polizei zu Irrtümern gekommen sein könnte: "Es ist unwahrscheinlich, dass ein Einsatz dieser Dimension fehlerfrei verläuft."
Jäger forderte zudem bessere und verbindliche Qualitätsstandards für Sicherheitsfirmen bei Großveranstaltungen. "Wir werden Wege finden müssen, zu unterbinden, dass an der Sicherheit gespart wird."
Dem Veranstalter und der Stadt Duisburg warf Jäger vor, bei der Aufklärung der Unglücksursachen nicht mitzuarbeiten. Es werde gemauert. Auch Ausschussmitglieder kritisierten, dass ihre Fragen von der Stadt nicht beantwortet worden seien. "Ich glaube, dass die Diskussion über die Love-Parade noch monatelang dauern wird", sagte Jäger.
"Wer hat wann Fehler gemacht?"
Die Oppositionsparteien CDU und FDP hatten den Innenminister insgesamt fast hundert Fragen vorgelegt. Mit den Antworten des Innenministers seien sie jedoch nicht zufrieden, sagte der CDU-Politiker Peter Biesenbach SPIEGEL ONLINE am Rande der Sitzung. Seine Fraktion wolle daher in den nächsten Wochen entscheiden, ob sie die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses verlangen werde. Auch der FDP-Politiker Horst Engel behält sich diese Möglichkeit vor: "Wir werden die nächste Sitzung am 2. September abwarten. Ein Untersuchungsausschuss gehört weiter ernsthaft zu unserem Instrumentenkasten." Und die Linke Anna Conrads erklärte, sie interessierten vor allem drei Fragen: "Wer hat wann Bedenken am Konzept der Love Parade in Duisburg ignoriert? War das Sicherheitskonzept rechtlich überhaupt genehmigungsfähig? Wer hat wann an der Rampe und an den Schleusen Fehler gemacht?"
Gesucht werden also weiterhin Antworten.
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